pushback

Alles ist dunkel. Und still. Totenstill. Die Erwartung und Anspannung ist fast mit Händen zu greifen. Alle wissen wenn hier gleich jemand auf die Bühne kommt, tut er das nicht um etwas anzusagen oder dem Rest der Schule gelernte Dinge zu präsentieren, so wie sonst immer. Es geht um etwas Wichtiges. Ein präsentes Thema, dass uns auf die eine oder andere Weise alle betrifft. Auf der Bühne stehen Kisten. Es sieht irgendwie ungeordnet und ungemütlich aus. Und das soll es auch. Im Hintergrund das tiefblaue, monoton rauschende Mittelmeer und das worum es heute geht:

PUSH BACK
Fluchtberichte- Eine szenische Textcollage

Endlich passiert etwas. Ein barfüßiges Mädchen kommt auf die Bühne, stellt sich an den vorderen Bühnenrand und schaut uns an, mustert uns fast schon. Wieder Stille. „Wie nennt man einen Schwarzen der ein Flugzeug fliegt?“, fragt sie uns. Keiner sagt etwas. Die Antwort kommt ebenfalls von ihr: „Pilot! Ihr Rassisten!“.

Am Donnerstag den 30.08.18 stand ein ganz besonderer Punkt auf dem Stundenplan der Oberstufe. Einige ehemalige Waldorfschüler und Waldorfschülerinnen aus Freiburg und München kamen zu uns an die Schule, um einen Vortrag über Fluchtbewegungen im Mittelmeerraum sowie über die damit verbundenen Seenotrettungen und die Migrationspolitik zu halten. Der Vortrag dauerte eine gute dreiviertel Stunde, wobei aus der anschließend geplanten 20-minütigen Fragerunde ein nettes und sehr kurzweiliges Plaudern und Zusammensitzen entstand. Verständlich daher die Enttäuschung über das doch schon sobald gekommene Ende der Mittagspause. Tja, so ist das meistens mit offenen und netten Menschen. Und das waren die 19-22 Jahre alten Studenten, Azubis und Zeitgenießer Paula, Paul, Maja, Lena und Ole allemal. Ihre Intention war, wie sie später mitteilten, der menschliche und nicht der politische Aspekt. Sie hatten nicht das Verlangen ihre Position weitergeben zu müssen, sondern wollten auf das Thema der Fluchtbewegungen aufmerksam machen. Ebenso wichtig waren ihnen die verschiedenen Blickwinkel. Sie verlasen Berichte von Menschen, die von der Nordküste Lybiens über das Mittelmeer nach Italien geflohen waren oder es zumindest versucht hatten. Denn obwohl viele dieser Menschen nicht schwimmen können, ist die Hilfe bei Seenot strafbar. Und genau an diesem Punkt sind die Gesetze nicht mehr mit der Menschlichkeit vereinbar. Der Perspektivwechsel zur Sicht von Fischern vor der Küste Lampedusas hat dieses Dilemma noch verdeutlicht. Sie sehen ein in Brand geratenes Boot, Menschen die ins Wasser springen und ertrinken und doch wissen sie sobald sie diese Menschen in ihr Boot ziehen und sie somit vor dem sicheren Tod retten machen sie sich strafbar. Die nun aufgeworfene Frage: „Stirbt die Menschlichkeit aus?“ ist meiner Meinung zutiefst berechtigt.

Außerdem wurden Tagebucheinträge von Sea-Watch-Aktivisten verlesen. Menschen, die nicht zuschauen konnten, sondern auf ein Schiff gegangen sind und gemeinsamen versuchen so viele Menschen wie möglich vor dem Ertrinken im Mittelmeer zu retten.

Besonders berührend fand ich die Erzählung über einen Waldorfschüler aus der Nähe von Marburg. Dieser hatte mit seiner Familie einige Geflüchtete aufgenommen. Nach dem Überwinden der Verständigungsschwierigkeiten entwickelte sich Stück für Stück ein beiderseitiges kulturelles Verständnis sowie ein Gefühl der Verbundenheit und nach gerade einmal einem Jahr fühlte man sich wie eine Familie.

Vielen Dank an Paula, Ole, Paul, Maja, Lena und auch Aaron, welcher jedoch krankheitsbedingt leider nicht dabei sein konnte. Danke für euer Engagement in einem so wichtigen Thema, danke für einen interessanten, gelungenen und eindrucksvollen Vortrag mit vielen verschiedenen kreativen Aspekten!

Milan Frommherz

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